Viel ist die Rede von der Entfernung der BürgerInnen von der Politik. Tatsächlich zeigen Umfragen, dass es selten zuvor in Europa ein so hohes Misstrauen gegenüber BerufspolitikerInnen gab wie heute. Um diesem Phänomen Abhilfe zu schaffen, wird in der Politikwissenschaft und in Aktivistenkreisen darüber nachgedacht, wie man die Demokratie modernisieren und inklusiver gestalten könnte. Unter dem Schlagwort „Demokratische Innovation“ kommen neue, oft sehr sinnvolle, manchmal aber auch wenig durchdachte Vorschläge in die Debatte, die aber insgesamt nur selten umgesetzt werden. Die Distanz zu den WählerInnen ist der Berufspolitik während einer Legislaturperiode meist kein vordringliches Problem. Erst in Wahlkampfzeiten wird sie schmerzlich wahrgenommen. Dann sind die Wahlstrategen am Werk und plötzlich kann es passieren, dass ein Bundeskanzler die Pizza vorbeibringt. Wenn solche Bürgerkontakte nur punktuelle Gags bleiben, ist der Nutzen für beide Seiten gering. Wenn Haustürwahlkampf aber ernst gemeint und auf Dialog ausgerichtet ist, kann er nicht nur Stimmen bringen, sondern demokratiepolitisch wertvoll sein.

Der US-amerikanische Politologe und Demokrat Jim Read hat über seine Erfahrungen der Doorstep Democracy bereits 2008 ein aufschlussreiches Buch veröffentlicht. Darin zeigt er an seinen eigenen Erlebnissen als Kandidat für die Demokraten in den 1990er Jahren, wie wichtig es ist, dass Politiker manchmal an die Türen der BürgerInnen klopfen. Und zwar nicht nur an jene, hinter denen sie die eigene Zielgruppe vermuten, wie dies in Wahlkämpfen meist der Fall ist. Denn Face-to-face Konversationen ermöglichen KandidatInnen und WählerInnen einen Austausch, der sonst nicht möglich ist. Dabei können und sollen heikle Themen angesprochen werden. Read hat es gemacht und im Heartland mit vielen Personen im Türrahmen oder im Wohnzimmer über Abtreibung und andere Fragen diskutiert. Sein Bericht zeigt, dass selbst hartgesottene Konservative bereit waren, mit ihm zu reden – manche davon konnte er von seiner Position überzeugen, andere nicht. Der Dialog hinterließ aber bei den allermeisten einen positiven Eindruck.

Dass PolitikerInnen an die Türe der BürgerInnen klopfen und mit ihnen heikle Themen besprechen, macht aus demokratiepolitischer Sicht auf jeden Fall Sinn. Es ermöglicht die Chance auf einen offenen Dialog – das gilt bei allen politisch kulturellen Unterschieden nicht nur für die USA, sondern auch für Europa und Österreich. Allerdings müsste es ohne Kamera gemacht werden, ohne Inszenierung. Das kostet Zeit und Energie, aber es würde die Kluft zwischen BürgerInnen und PolitikerInnen verringern. Der Politologe und Politiker Jim Read kämpft derzeit wieder um ein Mandat und klopft dabei wieder an viele Türen. Selbst wenn er nicht gewählt wird, ist seine Methode ein Gewinn für die Demokratie.

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