Österreich ist im weltweiten Vergleich eine stabile und gut funktionierende Demokratie, wenn es nach internationalen und politikwissenschaftlich fundierten Analysen geht. Die Organisation Freedom House, die seit mehreren Jahrzehnten Berichte über die Staaten der Welt verfasst, gibt Österreich zuletzt immer noch 94 von 100 erreichbaren Punkten. Das ist zwar kein absoluter Spitzenplatz und eine Verschlechterung gegenüber 2016, aber immer noch ganz respektabel. Traditionell besser liegen die skandinavischen Länder, die Niederlande, Luxemburg, die Schweiz oder Kanada. Deutschland schneidet ähnlich wie Österreich ab, Frankreich, Spanien oder die USA deutlich schlechter, Ungarn bereits ziemlich miserabel. Einige wie Portugal oder Irland haben uns in den letzten Jahren überholt. Auch das Demokratiebarometer, das von deutschen und schweizerischen Politologen entwickelt wurde, weist Österreich an ähnlicher Stelle aus. Methodisch werden dabei die Demokratie-Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Kontrolle anhand von etwa 100 Indikatoren betrachtet.
Traditionell schlecht schneidet die österreichische Demokratie in Hinblick auf Transparenz und den gleichen und freien Zugang zu Informationen ab. Das Parteienfinanzierungsgesetz, die Rechenschaftslegung über Wahlkampf-Ausgaben und Parteispenden ist im internationalen Vergleich besonders dürftig. Kritisch werden stets auch die hohe Konzentration an Medienmacht in wenigen Händen und die starke Rolle der Boulevardpresse erwähnt. Traditionell schwach auch die Performance des Staates in Hinblick auf die Integrationschancen für MigrantInnen und deren Zugang zu Institutionen und politischen Rechten. In vielen anderen Bereichen galt Österreich hingegen lange Zeit als Vorzeigedemokratie. Die Justiz genoss vergleichsweise hohes Vertrauen, die Partizipation bei Wahlen war relativ hoch, die Gewaltenkontrolle und die Pressefreiheit gut verankert, Demonstrations- und Versammlungsrechte liberal, politischer und gewaltbereiter Extremismus gering ausgeprägt usw. Bei manchen dieser Indikatoren sind schon seit einiger Zeit gewisse Verschlechterungen bemerkbar. Die neue Regierung jedoch scheint Maßnahmen auf den Weg zu bringen, die zu einer rasanten Verminderung der Demokratiequalität führen können.
Besonders alarmierend sind der zum Teil bereits sichtbare, zum Teil angekündigte Umgang mit dem Parlamentarismus, dem Versammlungsrecht, der Pressefreiheit den Rechten von Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft sowie die parteipolitisch motivierte Besetzungspolitik in staatlichen oder staatsnahen Betrieben. Die so sensiblen und für eine Demokratie so bedeutenden Besetzungen von Verfassungsrichtern wurden in einem Alibi-Schnellverfahren durchs Parlament gepeitscht und waren bereits zuvor entschieden. Das für die persönliche Freiheit aller österreichischen StaatsbürgerInnen so schwer wiegende Sicherheitspaket mit weitgehenden Überwachungsmöglichkeiten durch den Staat wurde ohne die Einbeziehung von ExpertInnen und ohne echte Parlamentsdebatte durch Klubzwang abgestimmt. Der Austausch von Aufsichtsräten bei den ÖBB und die Besetzung von Uni-Räten geschahen ebenso im Schnellverfahren und mit parteipolitischem Beigeschmack. Die unverhohlenen Interventionsdrohungen im ORF und die Verunglimpfungen von kritischen JournalistInnen haben zuletzt ein beunruhigendes Niveau erreicht. Das Naheverhältnis von Regierungsmitgliedern zu BoulevardjournalistInnen und vermehrte Inseratenschaltungen stärken regierungsfreundliche Medien. Die Einschränkungen des Rechts auf Versammlungsfreiheit erschweren es, Demonstrationen zu organisieren und durchzuführen. Eine neuerliche Verschärfung des Fremdenrechts führt zu einer Ungleichbehandlung von Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft und gefährden das Recht auf faire Asylverfahren.
Abgesehen von all diesen rechtlich relevanten Verschlechterungen der Demokratiequalität führt die im Diskurs verwendete Sprache einer der beiden Regierungsparteien zu einer gefährlichen Aufladung des politischen Klimas und Meinungsaustauschs, wodurch extremistische Haltungen gestärkt und entsprechende Straftaten weiter angeheizt werden können. Bereits in den letzten Jahren hat sich eine dramatische Zunahme an verfassungsfeindlichen, besonders rechtsextremen und antisemitischen Vorfällen ergeben, die sich dadurch weiter verschärfen kann.
Durch die genannten Entwicklungen werden alle drei Demokratie-Prinzipien geschwächt. Die Freiheit leidet unter erschwertem Versammlungsrecht, mehr Überwachung und einer bedrohten Pressefreiheit bzw. eingeschränkten Medien-Öffentlichkeit. Die Kontrolle (v.a. Gewaltentrennung) wird durch parteipolitische Besetzungen ohne parlamentarische Debatte geschwächt. Gleichheit leidet unter mangelnder Transparenz, fehlendem Informationszugang sowie einer Ungleichbehandlung von Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft. Nimmt man als wichtige Dimension noch die Demokratie-Einstellungen der Bevölkerung hinzu, so zeigen sich auch hier negative Trends. Vor allem das Vertrauen in die repräsentative Demokratie und ihre VertreterInnen, besonders in das Parlament und die Parteien, werden durch die derzeitige Politik weiter geschwächt.
All dies lässt die Befürchtung aufkommen, dass sich die Demokratiequalität in Österreich rasant verschlechtern könnte. Ungarn, das von österreichischen Regierungspolitikern bereits des Öfteren als Vorbild bezeichnet wurde, liegt in der Analyse von Freedom House bei nur mehr 72 von 100 Punkten und ist in manchen Bereichen schon nicht mehr als funktionierende Demokratie einzustufen, Trend stark fallend. Bleibt zu hoffen, dass die österreichische Demokratie einen anderen Weg einschlägt und manches der jüngsten Verschlechterungen noch revidieren kann.
Quelle: Demokratiebarometer Website; erweitert M. Pausch