Gerade in den letzten Jahren diskutieren wir häufig und zurecht die Defizite der nationalstaatlichen Demokratie. Das Vertrauen der Menschen in demokratische Institutionen und deren VertreterInnen sinkt. Manche sprechen gar davon, dass wir uns schon in einem postdemokratischen Zeitalter befänden. So wichtig diese kritische Haltung ist, so muss man doch anerkennen, dass die nationalstaatliche Politik nach wie vor einer der wenigen Orte ist, an dem wir (noch) eine einigermaßen funktionierende Demokratie erleben. Das wird besonders deutlich, wenn man sie mit den Organisationen unseres Alltags vergleicht, etwa mit unseren Bildungseinrichtungen oder unseren Arbeitsplätzen. Dort ist von Demokratie in der Regel nämlich kaum eine Spur. Zwar mag es Wahlen von Führungspersonal oder Gremien da oder dort geben, aber die gleichberechtigte Mitsprache, Partizipation, Transparenz oder ein Recht auf Widerspruch aller Betroffenen sind nicht zu erwarten. Besonders drastisch wird uns in den letzten Monaten die autoritäre Ausrichtung in Sport und Kultur-Einrichtungen vor Augen geführt. Ob ÖSV, FIFA oder Formel I, ob Hollywood oder Burgtheater, die Prinzipien der Demokratie werden in diesen Welten offenbar ignoriert oder belächelt. Doch nicht nur dort. Auch in kleineren Vereinen ist es um Transparenz und Widerspruch meist nicht gut bestellt. Die Macht ist ungleich zugunsten von einigen wenigen verteilt, die kaum jemals in Frage gestellt werden und die den Weg vorgeben. Wer sich trotzdem entgegenstellt wird sanktioniert – durch Drohung, Rauswurf, Mobbing oder andere Maßnahmen. Es ist kein Wunder, dass es in vielen dieser Männerbastionen oft systematisch zu Machtmissbrauch und manchmal sogar zu gewalttätigen Übergriffen kommt. Das eherne Gesetz der Oligarchie des Gruppenlebens, das der italienische Soziologe Roberto Michels vor über 100 Jahren beschrieb, ist längst nicht überwunden.

Veränderungsprozesse hin zu mehr Transparenz, zu Mitsprache und zu kritischem Widerspruch sind in den meisten Einrichtungen äußerst schwierig zu erreichen, denn sie gründen auf langjährigen Loyalitätsstrukturen und Identitäts-Mythen, die keine Kritik erlauben. Wer dennoch aufmuckt, steht im Verdacht, undankbar, illoyal – ein Verräter oder eine Verräterin zu sein. Heute werden in der Logik der Ökonomisierung aller Lebensbereiche zudem neue Begrifflichkeiten geprägt, um den Sachzwang zum Gehorsam zu umschreiben. Wer nicht spurt, schadet dem Erfolg, verrät den Markenkern oder verstößt gegen einen vorgegebenen Außenauftritt – und hat letztlich sein Recht verwirkt, in dieser Organisation tätig zu sein. All das sind die Prinzipien des Autoritarismus, die nichts mit Demokratie zu tun haben. Es sind die Prinzipien einer diktatorischen Oligarchie, die bis heute in viele Lebensbereiche hineinwirken und die gewalttätige Übergriffe begünstigen. Besonders tragisch ist dies dort, wo Kinder betroffen sind.

Die Ereignisse der letzten Zeit – ob Nicola Werdeniggs Berichte oder jene der Angestellten des Burgtheaters – haben bei vielen für Empörung gesorgt, bei anderen zu einer reflexartigen Verteidigungshaltung. Die Vernünftigen unter den Führungspersonen betroffener Organisationen erkennen hingegen die Notwendigkeit zur Veränderung – nicht nur um der Demokratisierung willen, sondern zum eigenen Nutzen. Gerade in Sport und Kultur werden hehre Werte wie Fairness und Chancengleichheit hochgehalten. Es schadet daher dem Image, wenn Machtmissbrauch an die Öffentlichkeit dringt. Wer eine Umstrukturierung ernsthaft angehen möchte, wird mit einer Struktur- und Akteursanalyse beginnen müssen, und zwar unter breiter Einbindung aller Beteiligten und ExpertInnen von außen. Ein erster Schritt muss die Bestandsaufnahme über Entscheidungsstrukturen, Machtverteilung und Partizipationschancen sein. Dazu gilt die Partizipationsleiter als brauchbares Instrument. Mit ihrer Hilfe kann man erkennen, in welchen Teilen der Organisation Handlungsbedarf besteht und wie man Legitimation schaffen kann. Völlig falsch wäre es, den Veränderungsprozess wiederum nur in den Händen der üblichen Verdächtigen, einiger weniger Oligarchen der Organisation, zu versuchen. Ein Scheitern wäre in einem solchen Fall vorprogrammiert.

Die Demokratisierung der alltäglichen Lebenswelten, in denen sich Erwachsene und mehr noch Kinder bewegen, ist jedenfalls ein Gebot der Stunde. Es bleibt zu hoffen, dass dies die mächtigen Vereinspräsidenten, Direktoren und Firmenchefs verstanden haben.

 

*Auf das Phänomen der Alltagsdiktatur gehe ich ausführlich in meinem Buch „Demokratie als Revolte. Zwischen Alltagsdiktatur und Globalisierung“ ein.