Ich habe mir im Rahmen eines Projekts von 2014 bis 2016 (www.lq-inno.at) die Demokratiequalität in Österreich und Salzburg angeschaut. Das kommt dabei raus:
 
1) Demokratiequalität ist besser als ihr Ruf:
Als ein zentrales Ergebnis kann festgehalten werden, dass die Demokratiequalität und die Demokratiewahrnehmung der BürgerInnen stark auseinanderklaffen. Mit anderen Worten: Die Demokratiequalität ist nach den meisten Kriteriensowohl in Gesamtösterreich wie auch im Bundesland Salzburg verglichen mit anderen Staaten oder Regionen und verglichen mit früheren Zeiten sehr hoch, während die Zufriedenheit und das Vertrauen der BürgerInnen gegenüber der repräsentativen Demokratie gering ist und geringer wird.
 
2) Hohes Maß an politischer Freiheit, aber zunehmende Radikalisierung:
In Hinblick auf das Prinzip Freiheit werden die meisten Kriterien gut erfüllt, d. h. es gibt ein hohes Maß an individueller Freiheit, die staatlich garantiert und auch geschützt wird. Die körperliche Unversehrtheit der SalzburgerInnen wird sowohl vom Staat als auch von den EinwohnerInnen selbst in hohem Maße respektiert. Die Gesamtkriminalität im Bundesland ist seit 2006 zurück gegangen, wenn auch zuletzt leicht angestiegen. Politische Ausschreitungen und terroristische Akte gab es in den letzten Jahren nicht. Zu beklagen sind zuletzt aber eine Zunahme von rechtsextremen Aktivitäten sowie Verdachtsfälle von
dschihadistischer Radikalisierung. Auch Salzburg ist überdies von neuen Methoden der Meinungsmanipulation durch radikale politische Gruppen, v. a. in den neuen Medien, betroffen. Diese Entwicklungen mindern die Demokratiequalität und stellen somit auch eine Gefahr für die allgemeine Lebensqualität im Bundesland dar.
 
3) Einschränkungen in Lebens- und Demokratiequalität für Minderheiten:
Das Recht auf Selbstbestimmung sowie die Religions- und Bewegungsfreiheit sind weitgehend gesichert. Einschränkungen gibt es jedoch für bettelnde Menschen in der Stadt Salzburg durch gesetzliche Regelungen sowie für Minderheiten in der Arbeitswelt, deren Chancen auf Beschäftigung in der Privatwirtschaft etwa durch das Tragen eines Kopftuchs deutlich sinken. Hinzu kommen Diskriminierungen im Alltag sowie Einschränkungen in den Möglichkeiten der Religionsausübung, etwa aufgrund der relativ geringen Anzahl von Gebetshäusern, Religionsvereinen und Seelsorgern gewisser Religionen. Die Lebensqualität von religiösen Minderheiten in Salzburg wird durch diese Fakten gemindert.
 
4) Hohe Rechtsstaatlichkeit, veränderte Medienlandschaft:
Die Rechtsstaatlichkeit ist in Österreich und damit auch in Salzburg auf sehr hohem Niveau. Defizite gibt es allerdings bei der Bandbreite der medialen Berichterstattung. Österreich stellt sich im europäischen Kontext nach wie vor als Land mit hoher Medienkonzentration in wenigen Händen dar. Dies wirkt sich nachteilig auf die ideologische Balance der Berichterstattung aus. Durch eine erhöhte Internetnutzung hat sich das Medienkonsum- und Kommunikationsverhalten in den letzten Jahren allerdings sehr verändert. Mit dem Erstarken der neuen Medien ist es auch zu neuen Phänomenen gekommen, zuletzt etwa zu einer Zunahme von Hass- und Verhetzungspostings, Drohungen, Radikalisierung, der Verbreitung so genannter Fake News und antidemokratischer Meinungsäußerungen.
 
5) Hohes Maß an demokratischer Kontrolle und Implementierungsfähigkeit:
Das Prinzip der Kontrolle mit den Funktionen des Wettbewerbs und der Gewaltenkontrolle ist gut erfüllt. Die Konkurrenz und damit ebenso die gegenseitige Kontrolle unter wahlwerbenden Parteien, auch die Kontrollmöglichkeiten der Opposition sind im Länder- und Zeitvergleich hoch, die Eintrittshürden für neue Parteien oder KandidatInnen sind relativ gering. Gleichzeitig zu den demokratiepolitisch wertvollen Kontrollmechanismen ist aber auch die Regierungs- und Implementierungsfähigkeit in Salzburg und Österreich voll gewährleistet.
 
6) Defizite bei Transparenz, Repräsentation und Partizipation:
Das Prinzip Gleichheit im politischen Prozess ist deutlich schlechter erfüllt. Einschränkungen gibt es etwa durch eine unzureichende und auch vom Rechnungshof mehrfach kritisierte Gesetzeslage in Hinblick auf Parteifinanzen und Amtsgeheimnis. Trotz Bemühungen des Salzburger Landtags, hier zu mehr Transparenz beizutragen, bleiben Defizite bestehen. Auch die Partizipation in politischen Prozessen ist von Ungleichheit in Hinblick auf soziodemographische Merkmale gekennzeichnet. Vor allem weniger Gebildete beteiligen sich deutlich seltener als besser Gebildete. Gewisse Formen der politischen Beteiligung sind außerdem in Salzburg wie in ganz Österreich sehr unpopulär und werden daher auch nicht wahrgenommen. Noch größer sind die Ungleichheiten bei der Repräsentation verschiedener Gruppen im politischen System. Hier zeigt sich nach wie vor eine starke Dominanz von Männern gegenüber Frauen. Auch Minderheiten sind im politischen Systemoder den Parteien kaum repräsentiert.
 
7) Repräsentative Demokratie verliert an Zustimmung:
Die größten Schwächen gibt es beim Prinzip Demokratieeinstellungen. Hier ist in Hinblick auf die Funktionen Demokratiewahrnehmung und Demokratieerwartungen ein Negativtrend in ganz Österreich und auch in Salzburg erkennbar. Die Unzufriedenheit der BürgerInnen bezieht sich in erster Linie auf die RepräsentantInnen der Demokratie, also auf BerufspolitikerInnen, Parteien und Institutionen, in denen diese BerufspolitikerInnen tätig sind wie Parlamente oder Regierungen. Insbesondere die Europäische Union verliert zunehmend an Attraktivität. Dies führt dazu, dass es einen starken Wunsch nach Veränderung der demokratischen Spielregeln gibt, der bei einem Teil der Bevölkerung auch antieuropäische, antidemokratische oder demokratiekritische Ideen beinhaltet.
 
8) Pessimismus vermindert Demokratie- und Lebensqualität:
Demokratische Stabilität wirkt sich grundsätzlich positiv auf die allgemeine Lebensqualität aus. Neue Trends in der medialen Kommunikation, politische Krisenphänomene, eine Zunahme an antidemokratischen Radikalismen sowie alte, ungelöste Probleme in der Demokratiequalität vermindern jedoch das subjektive Wohlbefinden und führen zu mehr Pessimismus. Dieser Pessimismus ruft zwei Reaktionen hervor: Rückzug oder Protest. Während Menschen mit höherer formaler Bildung eher auf Demokratiereformen setzen, ziehen sich jene mit geringerer Formalbildung eher zurück oder wenden sich populistischen AkteurInnen mit simplen Erklärungs- und Lösungsmustern zu.