Die politischen Debatten sind derzeit stark aufgeladen. Hass und Hetze haben auf eine Weise zugenommen, wie man es noch vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Wer sich heute in den öffentlichen Diskurs begibt, muss damit rechnen, beschimpft und bedroht zu werden. PolitikerInnen verschiedener Couleurs sind sogar im sonst so beschaulichen Österreich zurück getreten, weil sie die ständige Verunglimpfung und den triefenden Hass, der über ihnen ausgeschüttet wurde, nicht mehr ertragen konnten. Andere PolitikerInnen wiederum bedienen sich selbst einer tabulosen Sprache und feuern die Aggressionen damit an.

Dabei ist eine Verschiebung des Diskurses zu beobachten, die extreme Positionen mehr und mehr in die Mitte rückt und sich ganz simpel an den Wahlerfolgen extremer Parteien und PolitikerInnen ablesen lässt. Wer diese dann jedoch als extremistisch bezeichnet, wird umgehend selbst als Extremist diffamiert, womit die Verwirrung perfekt ist und sich viele aus dem Diskurs zurückziehen, was den Spielraum der Extremismen wiederum ausweitet und ihre Eroberung der gesellschaftlichen Mitte vorantreibt.

Wie aber kann man in dieser komplexen Situation Extremismus noch erkennen und von legitimen politischen Haltungen unterscheiden? Das ist in der Tat nicht ganz einfach. Rein etymologisch bezieht sich das Wort „extrem“ auf etwas, was „ganz außen“ anzutreffen ist. Politisch war lange Zeit das gemeint, was vom  Mainstream oder dem politischen Establishment am weitesten entfernt war. Wenn man jedoch dieser Definition folgt, dann waren über die längste Zeit der Weltgeschichte die DemokratInnen die extremsten Akteure – und tatsächlich wurden sie von den jeweils Herrschenden auch als solche eingestuft. In diesem Verständnis wären jeweils die prononciertesten Oppositionellen als ExtremistInnen zu sehen.

Aus demokratischer Perspektive macht diese Definition jedoch keinen Sinn. Denn die Demokratie beruht auf dem Recht auf Widerstand, Revolte und Kritik gegen die Herrschenden, gegen den Mainstream, auch gegen die Mehrheit. Sie beruht auf Meinungsfreiheit und auf Dialog. Als extrem sind in Demokratien daher jene einzustufen, die diese Grundlagen in Frage stellen, die Opposition ausschalten wollen, gegnerische Meinungen zum Verstummen bringen wollen, den Dialog verweigern, Lüge, Manipulation und monologisches Marketing an die erste Stelle setzen. Jene, die gegenüber ihrem politischen Statement keinen Widerspruch dulden und die bereit sind, ihre KritikerInnen (JournalistInnen, Oppositionelle, WissenschaftlerInnen etc.) oder deren Familien persönlich, verbal oder sogar physisch zu attackieren, um sie zum Schweigen zu bringen. Jene, die andere grundsätzlich aus dem Diskurs ausschließen wollen, weil sie woanders geboren wurden, anders glauben, aussehen etc.

Aus dieser Perspektive ist es durchaus möglich, dass politischer Extremismus in der Mitte von Gesellschaft und Politik Fuß fasst (vgl. dazu auch Seymour Martin Lipset). Wir sehen das stets in autoritären Regimen wie in China, auch in ehemaligen Demokratien wie Russland oder der Türkei, in so genannten illiberalen (besser „exklusiven“) Demokratien wie Polen oder Ungarn, und zunehmend in bisher stabilen Demokratien wie den USA, Italien oder Österreich.